Die Prussia-Sammlung im Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin

Pokirben

Die Region um Rauschen im nördlichen Samland

Die Gegend um Rauschen, Kr. Fischhausen (heute Swetlogorsk, Oblast Kaliningrad, Russ. Föderation) im nördlichen Samland ist Gegenstand einer regionalen Studie, die im Wesentlichen drei Ziele verfolgt: zum einen versucht diese exemplarische Auswertung von Altfundbeständen ausgewählter Fundorte die Grabungsaktivitäten der Prussia-Gesellschaft und des Prussia-Museums in dieser Region zu rekonstruieren und mit den in Berlin erhalten Objekten zu vergleichen. Da es sich hierbei fast ausschließlich um Grabfunde handelt, soll zweitens versucht werden, die Bestattungssitten in einer eng umgrenzten Kleinregion nachzuzeichnen. Die Vorlage der bis heute weitestgehend unpublizierten Fundkomplexe kann somit drittens die aktuellen Baumaßnahmen und archäologischen Untersuchungen in der Gegend des heutigen Swetlogorsk ergänzen.


(Die behandelten Fundorte in der Region um Rauschen im nördlichen Samland)

Gegenstand der Untersuchung sind die Gräberfelder von Rauschen/Kobjeiten, Kirtigehnen, Pokirben, Pokalkstein und Regehnen an der nördlichen Ostseeküste des Samlands in einem Gebiet von 7 x 4 km Ausdehnung. Auch wenn keines der Gräberfelder vollständig ausgegraben oder dokumentiert worden ist, so ist doch jeweils von einer Belegung mit 300-400 Bestattungen auszugehen. Auffällig ist die lange Belegungsdauer der Gräberfelder. Für alle Fundorte lässt sich eine Nutzung in der Römischen Kaiserzeit und im Mittelalter nachweisen, teilweise auch für die Bronzezeit, die vorrömischen Eisenzeit und die Völkerwanderungszeit.
Die Bearbeitung dieser Fundorte zeigt die typische Problematik beim Umgang mit den Beständen der Prussia-Sammlung aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg: keines der hier behandelten Gräberfelder wurde vor dem Krieg vorgelegt oder ausgewertet. Wenn überhaupt haben nur einzelne Objekte oder Fundensembles Eingang in die Literatur gefunden. Erst die kombinierte Auswertung des in Berlin erhaltenen Objektbestandes und der Aktenüberlieferung ermöglicht eine Rekonstruktion der Grabinventare und der Bestattungsweise. Somit lässt sich für die meisten Fundorte eine „Verlustliste“ erarbeiten, die verdeutlicht, wie groß die Diskrepanz zwischen der Menge der ausgegrabenen Stücke und den heute in Berlin erhalten Objekten ist. Betrachtet man z. B. die unveröffentlichten Grabungsbrichte aus dem Gräberfeld von Rauschen/Kobjeiten, so wird ersichtlich, dass bis zum Jahre 1930 dort mindestens 399 Gräber geborgen worden sind, teilweise mit umfangreichen Grabbeigaben (zahlreiche Pferdebestattungen mit Reitzubehör).


(Die Grabungen des Flachgräberfeldes an der Straße Rauschen-Kobjeiten. Im nördlichen Teil befinden sich die Gräber der Frühen und Späten Völkerwanderunszeit = Stufen D und E, im südlichen Teil die Bestattungen der Frühen und Späten Römischen Kaiserzeit = C und B, teilweise überlagert von den mittelalterlichen Gräbern = F-J)

Der ursprüngliche archäologische Objektbestand aus dem Gräberfeld von Rauschen/Kobjeiten dürfte in einer Größenordnung von ca. 2.000 Stück gelegen haben. Dem steht heute ein erhaltenes Objekt im Berliner Bestand der Prussia-Sammlung gegenüber.


(Lanzenspitze des 11.-12. Jh. aus dem Gräberfeld von Rauschen-Kobjeiten, Einzelfund. Zeichnung: C. Hergheligiu)

Ungeachtet dieser Verluste lässt sich mit Hilfe der Ortsakten ein aussagekräftiges Bild von Umfang, Inhalt und Bedeutung des Gräberfeldes von Rauschen/Kobjeiten zeichnen. So sind detaillierte Beschreibungen von etwa 250 mittelalterlichen und kaiserzeitlichen Gräbern aus dem Südteil des Gräberfeldes erhalten.


(Rekonstruierter Gräberfeldplan aus dem Südteil des Gräberfeldes von Rauschen-Kobjeiten mit Gräbern der Römischen Kaiserzeit und des Mittelalters)

Berücksichtigt man alle behandelten Gräberfelder in dem räumlich begrenzten Untersuchungsgebiet, so wird die außerordentliche Funddichte kaiserzeitlicher und mittelalterlicher Gräberfelder im Samland deutlich.

(Christoph Jahn)