Die Prussia-Sammlung im Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin

„Prosit“ - liebgewonnene Zungenbrecher
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A. von Weiss, Ostpreußisches Ortschaftsverzeichnis
Prosit, Buddern, Baubeln, Backeln, Grosskackschen, Mniodowsko, Szczeczynowen und Uszrudszen: Wer Interesse an der ostpreußischen Landeskunde zeigt, stößt unweigerlich auf sie, die belustigenden, kuriosen Ortsnamen des östlichsten Landesteils des Deutschen Reiches. Das MVF-Archiv kann inzwischen von sich behaupten: Wir kennen sie nicht alle, aber wir kennen viele ostpreußische Zungenbrecher.

Viele dieser liebgewonnenen Zungenbrecher verschwanden mit der 1938 staatlich verordneten "Germanisierung" von Ortsnamen. Schon in den Jahrzehnten zuvor hatten sich in Ostpreußen Änderungen in den amtlichen Benennungen und Schreibweisen der Wohnplätze und Fluren vollzogen. Neu- bzw. Umbenennungen sind hier ebenso zu verzeichnen wie das Verschwinden von Ortsnamen. Diese gingen häufig einher mit kommunalen Veränderungen wie Zusammenlegungen von kleineren Gemeinden oder Eingemeindungen. Hinzu kommen Änderungen der Kreiszugehörigkeit.

Zahllose ostpreußische Orte trugen bis weit in das 19. Jahrhundert zwei Namen. Besonders verworren waren die Verhältnisse im Kreis Memel. Im Norden der Provinz Ostpreußen, bekannt durch seine Streusiedlungen, wurden die einzelnen Gehöfte oft nach ihren Besitzern genannt. Viele Wohnplätze führten also drei oder noch mehr Namen, die sich zudem bei Besitzwechsel änderten. Zur Bildung von Gemeinden wurden oft zwei und mehr kleine Siedlungen zusammengefasst, was zur Folge hatte, dass bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges bereits zahlreiche dieser Ortsnamen verschwunden waren.

Abgesehen von den Änderungen in der Rechtschreibung, macht den größten Teil der Namensänderungen die Namensverdeutschung fremdsprachiger Ortsnamen aus. Waren dies vor 1914 nur relativ wenige Fälle, so gab nach dem Ersten Weltkrieg insbesondere die 1927/28 gesetzlich erzwungene Neubildung von Gemeindebezirken und die damit einhergehenden Zusammenlegungen vielfach Anlass, der neuen Gesamtgemeinde einen deutschen Namen zu geben. Die größte Zahl waren Übersetzungen der fremdsprachigen Ortsnamen, wie z.B. Grodzisko, Kr. Angerburg in Schlossberg und Krzysöwken, Kr.Oletzko in Kreuzdorf. In Anknüpfung an historische Begebenheiten wurde Deumenrode (zuvor Gorczitzen), Kr. Lyck nach dem Lokator Deumenroder benannt und Grosswalde (zuvor Rekownitza), Kr. Neidenburg nach dem Gründer Groß.

Aufgrund einer Verordnung des Gauleiters Erich Koch werden im Jahr 1938 Umbenennungen in Ostpreußen von staatswegen in großem Stil durchgeführt. Diesen politisch motivierten Umbenennungsprozess beschreibt der Protagonist in Siegfried Lenz' Roman „Heimatmuseum“ als „Versuche der arroganten Ostlandreiter, die Zeit als ihre Zeit kenntlich zu machen, und das heißt, Geschichte zu berichtigen durch die Zuerkennung neuer Namen; ...vertraute Zungenbrecher, an die man seit alter Zeit gewöhnt war, wurden aus dem amtlichen Verkehr gezogen und durch wohllautende deutsche Eigennamen ersetzt. ... Wer glaubt, für den Anbruch einer neuen Zeit sorgen zu müssen, der kann es nicht bei den alten Namen belassen, der muss umtaufen, umschildern, neue Flaggen setzen, und nicht nur dies: ... nach den Umbenennungen das Aufräumen.“ Erzählt wird von der Wanderschaft eines Ofensetzers, der seine Heimat nicht wiedererkennt: „nu haben se einen Irrjarten jemacht aus Masuren“. Statt zu ihm bekannten Orten führen Abzweigungen zu Flecken, von denen er noch nie etwas gehört hat, so „nach Orzechowen, das sich anmaßend in Nußberg umbenannt hatte, obwohl es dort weder Nußbäume noch einen Berg gab.“

Ein eindrucksvolles Beispiel für die Bandbreite der Veränderungen, mit der sich die Mitarbeiter des Fundarchivs der Prussia herumschlagen mussten, bietet das Dorf Grossczymochen und das Gut Czymochen. Beide Wohnplätze kamen 1909 vom Kreis Lyck zum Kreis Oletzko. 1925 hat Grossczymochen das Gut Czymochen in sich aufgenommen. 1929 wird Grossczymochen in Reuss umbenannt. 1933 ändert sich der Name des zugehörigen Kreises: aus Oletzko wird Treuburg.

Das PrussiaMuseum hatte bisweilen Schwierigkeiten, seinen Fundortnamensbestand und damit seine Ortsakten in eine handhabbare Ordnung zu bringen bzw. zu halten. Insbesondere seit den 1930er Jahren war die Bestandsstrukturierung des Fundarchivs in ständigem Fluss. Verschiebungen und Neubenennungen von Verzeichnungseinheiten waren gang und gäbe. Dies war aber nicht ausschließlich den Umbenennungen geschuldet. Ein weiteres Problem benennt Otto Kleemann, seit Mitte der 1930er Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des Landesamtes für Vorgeschichte in Königsberg (Pr.) in einem Aufsatz für die Zeitschrift Alt-Preußen: "Es sammeln sich nämlich für manche Fundorte über kurz oder lang so viel Berichte und Mitteilungen an, dass die für die leichte Benutzbarkeit unerlässliche Übersichtlichkeit nicht durchzuführen ist." Die Lösung fand man in einer sukzessiven Umstrukturierung des Fundarchivs. Die kleinste Akteneinheit "Fundort" wurde abgelöst durch die "Fundstelle". Unter Beibehaltung der alphabetische Ordnung nach Fundorten wurde für jede Fundstelle eines solchen Ortes eine eigene Akte angelegt.

Wo die Mitarbeiter des Prussia-Museums 1944 aufhörten, begann 57 Jahre später unsere Arbeit. Ihre Probleme wurden auch unsere Probleme. Der völlig auseinander gerissene Aktenbestand machte es notwendig, die Bestandsstruktur vollkommen neu aufzubauen. Hauptordnungskriterium für die Ortsakten sind die Orts- und Flurnamen. Blatt für Blatt wurde versucht, den jeweiligen Fundort zu bestimmen und so eine erste Struktur zu schaffen.

In einem zweiten Arbeitsschritt wurden alle titelbildenden Orts-, Flur- und Kreisbezeichnungen mit amtlichen Ortsbüchern und Messtischblättern des betreffenden Zeitraums abgeglichen und die Ergebnisse in einem datenbankgestützten Thesaurus abgebildet. Mit herangezogen wurden auch amtliche Ortsverzeichnisse der 1950er bis 1970er Jahre. Eingang in den Thesaurus fanden sämtliche als Fundort relevanten Wohnplätze und z.T. auch Flurnamen.

Die Recherchen zeigten, dass dem vormals wüsten Zustand des Aktenmaterials weitere Unwägbarkeiten folgten. Beispielsweise hatten sich die Mitarbeiter des Prussia-Museums in einigen Fällen entschieden, die Postanschrift als Fundortname zu wählen. Vorsatzwörter wie Groß- und Klein- fielen bisweilen unter den Tisch. Welcher Ort war - womöglich bei mehreren namensgleichen Wohnplätzen im selben Kreis - gemeint? Detektivischer Spürsinn war gefragt. Jedem noch so kleinen Hinweis in den Dokumenten gingen wir nach und konnten zumeist eine Klärung herbeiführen.

Bei der mit Abgleich der Fundorte einhergehenden Aktenbildung waren pragmatische Lösungen gefragt. Ziel war die Zusammenführung aller einen Fundort betreffenden Aktenstücke und damit eine weitgehende Wiederherstellung der ursprünglichen Sachvorgänge. Hier waren sowohl die Neustrukturierung des Prussia-Aktenmaterials der späten 1930er Jahre nach Fundstellen zu beachten als auch die umfänglichen Ortsnamensänderungen. Gemarkungsgrenzen wurden von uns, wenn möglich, berücksichtigt. Fundstellen einer größeren Gemarkung wurden in der Regel Fundortnamen zugewiesen und das Aktenmaterial unter diesem Namen abgelegt. Verweisblätter sowie Hinweise bei der computergestützten Erfassung der Verzeichnungseinheiten ermöglichen es, insbesondere in der Spätzeit der Prussia gebildete Strukturen der Fundortakten nachvollziehen zu können.

(Horst Wieder)